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NACHKLANG
Dr. Fischer aus Genf oder die Bombenparty
Figurentheater nach dem Roman von Graham Greene
in einer Inszenierung der Bühne Cipolla
Bühne Cipolla lässt das Publikum immer wieder staunen
Da steht einer im Regen an der Bushaltestelle, studiert den Fahrplan zum
wiederholten Mal und wartet. Der Regen hört auf. Der da wartet, ist Sebastian Kautz
von der Bühne Cipolla, dem Stammpublikum des „Binchens“ durch manch frühere
Aufführungen in allerbester Erinnerung.
„Dr. Fischer aus Genf“ oder „Die Bombenparty“ nach Graham Greene ist ein böses
Stück über Machtgier und Bestechlichkeit, psychische Grausamkeit und
Menschenverachtung und ein poetisches Stück über Anstand und Liebe.
Der kriegsversehrte Alfred verliebt sich in Dr.Fischers Tochter Anna-Luise, die seine Liebe erwidert und so
heiraten sie. Über ihren Vater aber, der mit der Erfindung einer besonderen Zahnpasta Milliardär geworden ist,
sagt sie, er sei der Satan, unter anderem weil er ihre Mutter psychisch so gequält habe, dass sie daran
gestorben sei.
Dazu gibt er regelmäßig Partys, zu denen er Menschen einlädt, um sie zunächst zu demütigen und sie dann
materiell überdimensioniert zu „belohnen“. Die Eingeladenen haben es finanziell nicht nötig, dieses perfide Spiel
mitzumachen. Aber der Reiz, Teilhaber der Macht zu sein, dazuzugehören und mit einer außergewöhnlich teuren
Trophäe von der gespenstischen Party heimzukehren, ist offenbar groß. Warum tut er das? Er möchte wissen,
ob Habgier Grenzen hat, so seine Antwort. Tatsächlich krankt der durch Ohren und Nase an ein Schwein
erinnernde Unsymphat an Verachtung für alles und jeden und vor allem für sich selbst.
Dieser allein schon psychologisch durchaus komplexe Stoff mit aktuellem Bezug wird von Sebastian Kautz in
einzigartiger Weise dargebracht. Seine Darsteller sind Puppenbüsten, unnachahmlich von Melanie Kuhl gebaut
und gekleidet, die er sprechen lässt, als seien sie lebendig. Unglaublich, wie er jeder der sieben Figuren mit
„deren“ besonderen Stimme spricht, eine andere erwidern lässt oder mit der eigenen antwortet, im raschen
Wechsel wie in einem normalen Gespräch. Phänomenal, wie man als Zuschauer vergisst, dass er es ist, der
jede Rolle spricht, spielt, bewegt, Gefühle zeigen lässt. Wenn Anna-Luise ihre Schläfe an die von Alfred legt und
im gleichen Zug Kautz ihre Hand Alfreds Gesicht umfassen lässt – das ist von großer Zärtlichkeit und man mag
nicht glauben, das eine Puppe diese zarte Geste tun könnte.
Konzentriert lauscht das Publikum den Dialogen der „Darsteller“, denen Kautz eigenes Leben schenkt. Für
ungefähr 80 Minuten wird man zum Kind, dass vergisst, dass jemand den Kasper hält, obwohl man den
Puppenspieler sprechen sehen könnte. Das ist so faszinierend, so fesselnd, dass einem die Dimension der
Geschichte erst nach und nach klar wird.
Wie macht Kautz das? Riesiges Können, Präzision, unzählige Probenstunden und ganz offensichtlich richtig viel
Freude an seiner Arbeit führen vermutlich zu einem so großartigen Ergebnis. Sonst wär´ es Zauberei.
Auf jeden Fall verzauberte und begeisterte er die Menschen im ausverkauften „Binchen“.
Geradezu symbiotisch sind Kautz und Gero John während des ganzen Stücks durch dessen Musik verbunden.
Wie immer komponierte John die Musikbegleitung und unterstrich das dramatische Geschehen sehr gelungen
am Cello und mit dem darunterliegenden Loop.
Was für ein toller Abend! Vielen Dank!
Rosemarie Schrick