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NACHKLANG
Kabarett(isten) im KZ
Eine Grammophon-Lesung von und mit Jo van Nelsen
Ermordet und (fast) vergessen
Der erste Gedanke: Da gibt es bestimmt nichts zu lachen. Die Geschichte von Kabarettisten und Kabarett im
Konzentrationslager (KZ) kann eigentlich nur ein ernster, trauriger Abend werden. Doch die Besucher im
ausverkauften Binchen wurden bei einem Abend mit Jo van Nelsen angenehm überrascht. Bei allem Grauen,
das sich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte einstellt, blieb Platz für viel Heiterkeit.
Profunde und kurzweilig nimmt sich Jo van Nelsen der Biografie von Künstlern an, die von den
Nationalsozialisten inhaftiert und fast immer umgebracht wurden. Er stellt die Frauen und Männer sowie ihre
Kunst sehr anschaulich dar, liest ihre Texte, singt ihre Lieder, spielt Aufnahmen von alten Schelllackplatten
und zeigt authentisches Foto- und Filmmaterial.
Bei den Nazis konnten allein satirische Beiträge mit Kritik am Regime, selbst zweideutige,
schon für eine Inhaftierung sorgen. Jüdinnen und Juden sowie Homosexuelle wurden
generell verfolgt und umgebracht.
Viele Künstler waren berühmt und sind trotzdem in Vergessenheit geraten. Eine der
wenigen Ausnahmen: Werner Fink (1902-1978), der mit viel Glück KZ-Haft und
Kriegsdienst überstand und in der BRD ein bekannter Künstler blieb.
Einen besonderen Lebenslauf hatte die 1918 in Lübeck geborene Isa Vermehren: Schon
als 16-Jährige sang sie, sich mit dem Akkordeon begleitend, freche Texte in Werner Finks
Kabarett „Katakombe“ in Berlin. Sie konvertierte 1938 zum Katholizismus, überlebte den
Aufenthalt in drei Konzentrationslagern und entsagte von 1951 an als Ordensschwester
allen weiteren Bühnenauftritten bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 in Bonn.
Jo van Nelsen schilderte auch das Kapitel, mit welch unfassbar perfiden, gewissenlosen
Gebaren in einigen Lagern der millionenfache Massenmord begleitet wurde. Im
niederländischen KZ Westerbork, einem Auffanglager für Juden auf dem Weg in
Vernichtungslager, ließ der Kommandant auf einer Bühne, die mit Holzbohlen einer
Synagoge gebaut worden waren, wöchentlich Kabarettabende veranstalten. Während der
Dienstzeit des SS-Obersturmführers Albert Gemmeker wurden etwa 80.000 Menschen
über eine direkte Eisenbahnlinie in die Gaskammern nach Auschwitz deportiert, Anne
Frank und fast alle Kabarett- und Theaterkünstler darunter.
Ein anderes Beispiel: Das KZ Theresienstadt in Tschechien galt als »Vorzeige-Lager«, mit
dem ausländischen Gästen suggeriert werden sollte, wie human es in Konzentrations-
lagern zugehe. Teil dieser Täuschung waren nicht nur Theater und Varietés, sondern auch
ein vermeintlicher Dokumentarfilm. Den hatte ein Häftling, der seinerzeit berühmte
Schauspieler Kurt Gerron, nach Weisung der Lagerleitung produziert.
Sein Leben rettete er damit nicht, Gerron wurde in Auschwitz umgebracht. Aber die
Wirkung des Filmes ist anscheinend zeitlos: Ausschnitte daraus werden, wie Jo van
Nelsen berichtet, noch heute von Rechtsradikalen in sozialen Medien als Beleg
veröffentlicht, dass alles gar nicht so schlimm gewesen sei und es keinen Holocaust
gegeben habe.
Achim Krauskopf