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28. Januar 2025
Kabarett(isten) im KZ Eine Grammophon-Lesung von und mit Jo van Nelsen
Ermordet und (fast) vergessen Der erste Gedanke: Da gibt es bestimmt nichts zu lachen. Die Geschichte von Kabarettisten und Kabarett im Konzentrationslager (KZ) kann eigentlich nur ein ernster, trauriger Abend werden. Doch die Besucher im ausverkauften Binchen wurden bei einem Abend mit Jo van Nelsen angenehm überrascht. Bei allem Grauen, das sich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte einstellt, blieb Platz für viel Heiterkeit. Profunde und kurzweilig nimmt sich Jo van Nelsen der Biografie von Künstlern an, die von den Nationalsozialisten inhaftiert und fast immer umgebracht wurden. Er stellt die Frauen und Männer sowie ihre Kunst sehr anschaulich dar, liest ihre Texte, singt ihre Lieder, spielt Aufnahmen von alten Schelllackplatten und zeigt authentisches Foto- und Filmmaterial. Bei den Nazis konnten allein satirische Beiträge mit Kritik am Regime, selbst zweideutige, schon für eine Inhaftierung sorgen. Jüdinnen und Juden sowie Homosexuelle wurden generell verfolgt und umgebracht. Viele Künstler waren berühmt und sind trotzdem in Vergessenheit geraten. Eine der wenigen Ausnahmen: Werner Fink (1902-1978), der mit viel Glück KZ-Haft und Kriegsdienst überstand und in der BRD ein bekannter Künstler blieb. Einen besonderen Lebenslauf hatte die 1918 in Lübeck geborene Isa Vermehren: Schon als 16-Jährige sang sie, sich mit dem Akkordeon begleitend, freche Texte in Werner Finks Kabarett „Katakombe“ in Berlin. Sie konvertierte 1938 zum Katholizismus, überlebte den Aufenthalt in drei Konzentrationslagern und entsagte von 1951 an als Ordensschwester allen weiteren Bühnenauftritten bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 in Bonn. Jo van Nelsen schilderte auch das Kapitel, mit welch unfassbar perfiden, gewissenlosen Gebaren in einigen Lagern der millionenfache Massenmord begleitet wurde. Im niederländischen KZ Westerbork, einem Auffanglager für Juden auf dem Weg in Vernichtungslager, ließ der Kommandant auf einer Bühne, die mit Holzbohlen einer Synagoge gebaut worden waren, wöchentlich Kabarettabende veranstalten. Während der Dienstzeit des SS-Obersturmführers Albert Gemmeker wurden etwa 80.000 Menschen über eine direkte Eisenbahnlinie in die Gaskammern nach Auschwitz deportiert, Anne Frank und fast alle Kabarett- und Theaterkünstler darunter. Ein anderes Beispiel: Das KZ Theresienstadt in Tschechien galt als »Vorzeige-Lager«, mit dem ausländischen Gästen suggeriert werden sollte, wie human es in Konzentrations- lagern zugehe. Teil dieser Täuschung waren nicht nur Theater und Varietés, sondern auch ein vermeintlicher Dokumentarfilm. Den hatte ein Häftling, der seinerzeit berühmte Schauspieler Kurt Gerron, nach Weisung der Lagerleitung produziert. Sein Leben rettete er damit nicht, Gerron wurde in Auschwitz umgebracht. Aber die Wirkung des Filmes ist anscheinend zeitlos: Ausschnitte daraus werden, wie Jo van Nelsen berichtet, noch heute von Rechtsradikalen in sozialen Medien als Beleg veröffentlicht, dass alles gar nicht so schlimm gewesen sei und es keinen Holocaust gegeben habe. Achim Krauskopf